Emmys Wahrheit

 

Mit viel Freude und etwas nachdenklichem Stolz darf ich hier meinen Roman "Emmys Wahrheit" vorstellen.

 

 

 


Eines Tages rettet Emmitell von Merfurt die junge Leandrin vor der Willkür von Raumur Ruggasson, einem narzistischen Despoten, und nimmt sie mit in ihr Heim, dem "Amselnest". Als Freigeist wird Emmi und ihre Familie vom Landesfürsten und den Bürgern des nahen Städtchens Graiffstett mit allen Mitteln sabotieren. Als die Leute von Graiffstett - selbst nicht ganz "unschuldig" - wegen der  Ruggassons Machtgier in eine existentielle Krise geraten, treten Emmy und ihre Mitstreiter tatkräftig für die Würde der Menschen und damit für eine bessere Zukunft ein.

 

Klingt doch aktuell!?

 

Viel Spass beim Lesen

 

 

Christina


Für wen eignet sich dieses Buch?

Eigentlich für jeden, der sich mit Fragen des Lebens und seiner Werte beschäftigt.
Das Buch ist so konzipiert, dass es sich auch für den Deutsch- oder Ethikunterricht eignet, da es in jedem Kapitel um eine Frage. Der Leser kann sich jeweils fragen, wie hätte ich gehandelt? Hätte ich den Mut? Wo in unserer Gesellschaft finde ich Gleiches oder Ähnliches?

Die Idee zum Buch

entstand im Gespräch mit meinem Sohn auf dem morgendlichen Weg zum Bus. Im Laufe des Schreibens haben sich eigenen Erfahrungen und solche, die ich über Jahre in meinem Umfeld gesammelt habe, eingewebt.

 

Die familiäre Erfahrungen im Zusammenhang mit Flucht und Heimatlosigkeit sowie eigene Lebenskrisen haben meinen Fokus auf die Veränderungsfähigkeit (Resilienz) gerichtet. 

 

Dennoch sind alle Personen und auch die jeweiligen Handlungen frei erfunden.


Das Buch kannst Du Dir mit dem unteren Link holen:

Als E-Book oder Taschenbuch !

Herzlichen Dank für deine Unterstützung meiner Arbeit!



Leseprobe

Kapitel 2 von 42

Sei still, hat die Mutter gesagt, 

artige Mädchen schweigen, 

sonst kommt ein Vogel und 

fliegt in deinen Mund, dass du erstickst.  

Siba Shakib 

Karte von Graiffstett
Graiffstett

»Packt ihn!«, brüllte der Landesfürst von seinem hohen Ross den Gardisten zu und galoppierte auf den Platz. 

Sein Zorn richtete sich augenscheinlich gegen einen jungen Mann, der mit Pinsel und Kleistereimer bewehrt quer über den Marktplatz rannte. Zwei Berittene lösten sich aus Ruggassons Truppe. Sie jagten dem Jüngling zwischen den engen Markttischen hinterher, bis sie ihn, kurz bevor er das schmale Stadttor erreichte, doch noch einholten. Ungestüm und rücksichtslos ritt der Fürst über den Platz zu einem an der Stadtmauer flatternden Plakat, an dessen Ränder der Kleister noch nass schimmerte. Er las den Anschlag mit verkniffenen Lippen. Während seine Zornesadern an den Schläfen bei jedem Wort mehr zutage traten und sein Gesicht sich tiefrot verfärbte, legte sich eine bleierne Stille über dem Markt, einzig durchbrochen vom nervösen Klappern und Schnauben der stramm gehaltenen Pferde. Die Leute, eben noch in bunten Gruppen beisammen, stoben so schnell sie konnten in alle Richtungen, wie Mäuse, die sich beim Nähern einer Katze in ihren Löchern verkriechen. Die Turmuhr schlug neun. 

 

»Ins Verlies mit ihm!«, fauchte Ruggasson mit bebender Stimme und zerfetzte das Plakat mit seiner Gerte. Unter seinem wüsten Stakkato aus kaum verständlichen Worten banden ihn die beiden Graiffer - so wurden Ruggassons Häscher genannt - an den Handgelenken fest und zerrten ihn mit sich. In Angst erstarrt verfolgten die Marktleute, die sich nicht hatten verdrücken können, das Geschehen. Keiner rührte sich. Wer einmal Ruggassons Jähzorn erlebt hatte, hütete sich, dessen Aufmerksamkeit durch eine verspätete Ehrerbietung oder gar durch offenen Widerspruch auf sich zu lenken. 

 

Seit seiner Machtübernahme hofften die Leute des Städtchens, das Alter werde den Landesfürsten milder stimmen. Vergeblich. Auch mit fast fünfzig Jahren benutzte er seine Macht in jeder Hinsicht willkürlich und hemmungslos. Der Anblick des schmächtigen Jünglings, der von den Pferden um ein Haar zertrampelt wurde, liess Emmy hinter ihrem Marktstand frösteln. Beim Gedanken, dass ihr Sohn Jon anstelle dieses jungen Mannes gefasst und abgeführt werden könnte, lief Emmy ein eisiger Schauer über den Rücken. Erst vor vier Wochen war Jon aus dem Baldurtal zurückgekehrt, um ihr im Amselnest zu helfen. Fünf lange Jahre war er fort gewesen; untergetaucht, um sein Leben nicht im Krieg zu lassen. Mit klammen Fingern zog Emmy ihre abgewetzte, mit bunten Blumen bestickte Strickweste enger um sich. Emmys Hoffnung, dass nach der Verhaftung des Plakatklebers der Geltungsdrang des Fürsten zumindest fürs Erste befriedigt sei, verflüchtigte sich rasch. Ruggasson sah sich aufrecht in den Bügeln stehend nach weiteren Opfern um. 

 

Die Statthalter der Bezirke und ein paar Mitglieder des Graiffstetter Landtages hatten sich in den letzten Wochen unablässig die Klinke in die Hand gegeben, beim Landesfürsten vorgesprochen und aufdringlich eindringlich um Unterstützung gegen Aufwiegler ersucht. Und mit dem Gedanken, dass das ein Ende haben müsse, beäugte der Fürst die Leute auf dem Platz misstrauisch. Wo immer ihr euch versteckt, ich werde euch den Garaus machen! 

Dann brüllte er: »Wer es wagt, sich unserem Vorhaben zu widersetzen, sei gewarnt! Wir dulden keinerlei Widerstand! « Doch als er der Garden einen Wink zum Aufbruch geben wollte, erregte eine junge Frau in einem braunen Umhang seine Aufmerksamkeit. Beim Versuch die Gunst des Augenblicks zu nutzen und in die nächstliegende Gasse, die Ölgasse zu entschwinden, stolperte sie vor Emmys Markttisch unglücklich über ihr weites Cape. 

 

»Halt!«, schrie Ruggasson und lenkte seinen Rappen so knapp an den Verkaufsständen vorbei, dass es an ein Wunder grenzte, dass kein Mensch zertrampelt, kein Stand verwüstet wurde. 
»Wo willst du hin? Runter, auf die Knie und sieh‘ gefälligst zu mir hoch!«, gellte er die Frau an, die ihr Gesicht unter einer Kapuze zu verbergen versuchte. Zornig hob er seine lange, mit schwarzem Leder überzogene Gerte zum Hieb. Doch bevor die Peitsche auf sie runter sauste, trat Emmy ohne irgendeinen Gedanken an ihre eigene Sicherheit zu verschwenden geschwind hinter ihrem Tisch hervor, direkt vor den nervös mit seinem seidenen Schweif schlagenden Rappen, der ein paar Schritte zurück trippelte. 

»Ach, sieh an, noch ein Weib!“, keifte der Landesfürst gallig und führte sein Pferd wieder zwei Schritte vor, unmittelbar vor die Frau, die sich unverschämt vor ihn stellte. 
»Was mischt du dich ein, du Lumpenweib!? « Emmy blieb bewegungslos stehen und rührte sich nicht. Stattdessen schaute sie ihm unverblümt in die Augen, als gälten seine Worte und sein Zorn nicht ihr. Während des endlos lang erscheinenden Kräftemessens musterte Ruggasson sie von oben nach unten mit einem verächtlichen Zucken um die schmalen, von struppigen Barthaaren halb verdeckten Lippen, bis sein Blick für einen Moment entgeistert ganz unten, an Emmys nackten Füssen hängen blieb. Diese Zehen. Wahrlich diese Zehen waren viel zu gross für diese kleine Frau. Verwirrt lachte er auf, schüttelte er sich und spuckte vor Emmy aus. 
»Ach, ihr Weiber seid es ja nicht wert, dass man sich mit euch abgibt! Aus dem Weg!« Schnell liess er die noch immer erhobene Gerte auf die rechte Flanke seines Rappen niedersausen, riss ihn mit einem groben Ruck herum und galoppierte in Richtung Palais. Leute rannten auseinander. Krüge barsten. Körbe fielen um. Äpfel kullerten übers Kopfsteinpflaster. Und die Gardisten standen einen Augenblick orientierungslos inmitten der Marktstände, bis sie ihrem davon galoppierenden Fürsten folgten. 

 

Felix atmete laut aus, als habe er während der ganzen Zeit die Luft angehalten. »Wie hast du denn das wieder gemacht? Ich dachte schon, dein letztes Stündchen hat geschlagen«, stellte er überrascht fest und wischte sich mit einem frischen, sauber gefalteten Taschentuch sichtlich erleichtert den Schweiss von der Stirn. 
»Das hätte eigentlich ganz, wirklich ganz übel enden müssen! Ich versteh’s nicht«. Schulter zuckend, doch nicht weniger erstaunt, murmelte Emmy mehr zu sich als zu ihm: »Ja, Glück gehabt!« 
Tatsächlich konnte sie sich selber nicht erklären, weshalb der Fürst sie verschonte und auch die junge Frau laufen liess. Emmy war wie so oft auch diesmal dreist und waghalsig aufgetreten. Doch wenn sie hautnah mitbekam, wie Ruggasson seine Graiffer auf Unschuldige hetzte und die Städter sich gelähmt durch ihre Angst nur duckten, konnte sie nicht anders als sich einzumischen. 

 

Während sich die junge Frau den Strassenstaub vom Umhang abklopfte, sah Emmy den Reitern nach, überwältigt von Erinnerungen. Verblasste Bilder, deren beissende Schärfe dem Zeitenlauf zum Opfer gefallen war: Emmy, noch keine zwanzig Jahre alt, verstrickt im teils heftigen, von vielen Wiederholungen jedoch stumpf gewordenen und letztlich zwecklosen Streit mit ihrem Vater. Wie sie im Laufe der Jahre begonnen hatte, ihn zu verachten! Für seine Schwäche, für seine Sucht - die Sucht nach dem Mammon, nach Besitz und Macht. Damals hatte sie nicht verstanden, weshalb er so hart und unnahbar war. Erst viel später glaubte sie zu verstehen, dass die Flucht aus der Heimat, die Kriegsjahre und schliesslich der frühe Tod ihrer Mutter ihm jenen Grund und Boden entzogen hatte, auf dem Menschen für gewöhnlich wurzeln. Das Bild, das sie sich von ihrer Mutter machte - sie war bereits im Kindbett gestorben -, widersprach jenem vom Vater in jeder Hinsicht. Er schwach und feige - sie mutig im Leben stehend, tapfer den Widerwärtigkeiten trotzend, mit Visionen und starken Träumen. Dieses Ideal hatte sie sich zum Vorbild genommen, obwohl sie wusste, dass dieses Bild nicht der Realität entsprungen war. 

 

In stillen Momenten, nach vollbrachtem Tagewerk, wenn Emmy allein auf der grünen Bank unter der mindestens hundert Jahre alten Linde im Hof des Amselnestes sass, stellte sie sich zuweilen vor, wie die Mutter ihrer Träume stolz auf sie wäre und voller Freude. Und ihr Vater? Mit wüstem Spott hatte er ihre Ideale in den Dreck gezogen. Der Hohn in seiner Stimme hatte noch Jahrzehnte in ihren Ohren nachgeklungen. Seine zynischen Bemerkungen, wenn sie von ihrer Sehnsucht nach Heimat, nach Freiheit und Gerechtigkeit gesprochen hatte. Mit Füssen hatte er ihre Hoffnungen getreten, ihren Glauben an ein glückliches Zusammenleben der Menschen, gleichberechtigt und frei. »Komm mir nicht mit solchem Firlefanz«, pflegte er zu sagen. Nur Macht und Einfluss, harte Fakten liess er gelten. 

 

Deshalb hatte Emmy das Haus ihres Vaters schon früh verlassen, den alten, bunt verzierten Koffer in der Hand, den sie seit ihrer Flucht aus der Heimat gegen seinen erklärten Willen im Keller versteckt hatte. Nicht wirklich erwachsen, noch vor ihrer Reifeprüfung war sie in die Welt gezogen; im Grunde viel zu früh. Kurvenreich und zuweilen gefährlich nah am Abgrund war ihr Lebensweg verlaufen. Lugalor. Die Kinder. Ihr Weg über die Berge nach Graiffstett... 

 

»Danke«. Mit diesem Wort riss die junge Frau Emmy aus dem Bilderkarussell, zurück auf den Frühlingsmarkt. Fast noch ein Kind, bemerkte Emmy, als sie in die scheuen, rehbraunen Augen unter der Kapuze blickte. Dieser traurig fragende Blick erinnerte sie an sich selbst, allein und fremd in einer ihrer feindlich gesinnten Umgebung. Wie hatte sie sich damals gefürchtet! 

»Keine Sorge, Fräulein. Ich bringe Sie nun erst mal nach Hause in Sicherheit. Wie darf ich Sie nennen? « Die junge Frau - achtzehn, höchstens zwanzig Jahre alt - zögerte einen Moment, bevor sie mit zarter, aber wohlklingender Stimme antwortete: »Sie können mich schon duzen. Ich heisse Lea Ka... Nennen Sie mich einfach Leandrin. Aber nach Hause? Nein, besser nicht«. 

»Emmitell von Merfurt, vom Amselnest oben auf der Gomba-Hochebene«, stellte sich Emmy vor. »Alle rufen mich Emmy. Und wenn du es dir wegen des Heimwegs anders überlegst, weisst du ja, wo du mich findest. Ich bin den ganzen Tag hier am Stand oder in der Nähe«, sagte Emmy, ordnete ihre Waren und verkniff sich jede weitere Frage. 

 

Im Laufe des Tages huschten zwischen Käufern und Händlern auch Bettler, Tagelöhner aus Graiffstett sowie aus fernen Gebieten zwischen den Wagen und Ständen umher. Erst in der mageren Hoffnung auf eine kleine Gabe, später dann auf einen Happen aus dem mannigfaltigen Abfall, der am frühen Abend das Pflaster bedeckte und den die Ratten nur widerwillig mit ihnen teilten. Sie mehrten sich, Jahr für Jahr, und keine Wende war abzusehen. Nicht nur bei den Ratten, auch bei den Bettlern, den Dünnen und Hungrigen, stellte Emmy fest. Ganz in ihren Gedanken über die Not der Taglöhner, das Unrecht und die Menschen versunken, stand sie neben ihren Waren, als ein buckliger Tagelöhner sie von hinten am Ärmel zupfte. 

»Eine milde Gabe für einen armen Sünder?«, bettelte er mit gesenktem Blick und formte seine schwieligen Hände zur Schale. Erschreckt sah Emmy hoch. Ihr Blick traf direkt auf die traurig-trüben Augen des Mannes. Eine lange, quer laufende Narbe teilte sein vom Wetter gegerbtes Gesicht in eine obere und eine untere Hälfte, verbunden nur durch eine breite, schiefe Nase über dem schmalen Mund. 

»Wenn’s hülfe schon. Doch tut’s das nicht!«, wehrte Emmy ab. Mit einem Lächeln versuchte sie, der Härte ihrer Absage die Schärfe zu nehmen. Wie oft hatte sie solche und ähnliche Gespräche in der Vergangenheit geführt. Sie wusste, was kommen würde, auch ohne Amen oder Kirche. 

»Mir würde es schon helfen. Ich könnte mir einen Becher Bier und ein Brot mit Wurst kaufen. Oder Kuchen«, versicherte der Bettler und schielte auf das Stück, das noch jungfräulich aus einer Serviette hervorlugte, die neben Emmy auf dem Tisch lag - ihre Vesper. 

»Und morgen, guter Mann? Was dann?«, gab Emmy zu bedenken. 

»So viel wie heute. Ein Nichts.« 

»Morgen ist ein neuer Tag. Wir werden sehn‘!«, wischte er Emmys Einwand flugs beiseite und kratzte sich hinterm linken Ohr. 

»Ach, was soll’s. Da nehmt! Es soll Euch schmecken!« Emmy strich die Segel und reichte ihm ihr Kuchenstück. »Glaubt mir, es ist nicht Geiz, der mich davon abhält, etwas abzugeben und zu teilen. Es ist vielmehr das Morgen, die Zukunft, die unweigerlich kommt. Solange Almosen die Spitze der Not brechen, wird sich bestimmt nichts zum Besseren wenden. Die Bedürftigen bleiben in steter Abhängigkeit gefangen, der Willkür und Beliebigkeit der Besitzenden ausgeliefert. Ihr werdet weiter betteln und bitten müssen, auf Erbarmen hoffen und Eurer Würde beraubt. Ich fürchte, die Not muss erst noch viel mächtiger werden, der Hunger lauter, das Leben wund wie im Höllenschlund, bis das Volk aufsteht, sich erhebt und sich traut.« 

 

»Gib acht, Frau!«, pisperte da eine rauchig-raue Männerstimme hinter ihr. »Die Mauern haben allenthalben Ohren! Du magst ins Schwarze treffen, doch was nutzt’s! « Emmy drehte sich mit dem Gefühl eines ertappten Diebes um und sah nur noch einen Blaumann von hinten, der sein linkes Bein nach sich zog und dabei den Staub aus den Pflasterfugen fegte.